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die vergessenen Grundig Spitzengeräte

Verfasst: Di 7. Jun 2016, 16:06
von nick_riviera
hallo,

aus irgendwelchem Grund kann ich in der Rubrik sonstiges von Grundig keine Beiträge posten, daher schreibe ich erstmal hier. Bei Bedarf kann der Thread gerne verschoben werden.

Also - einer der wesentlichen Faktoren des Erfolgs von Max Grundig war, dass er von Anfang an auf die richtigen Pferde setzte, und dass er bei den Spitzenmodellen ein Freund des "Löffel Butter mehr" war. So entstanden in den frühen fünfziger Jahren einige monströse Konstruktionen, von denen man heute teilweise nicht mehr weiß, ob sie nur im Prospekt abgebildet waren, oder ob sie tatsächlich gebaut wurden.

Das wohl rätselhafteste Gerät ist die Grundig Truhe 910 von 1953:

http://www.radiomuseum.org/r/grundig_fe ... n_910.html

Der Fernseher soll eine Bildschirmfläche von 60 x 45 cm gehabt haben, was einer Diagonale von 75 cm entspricht. Selbst die späten deutschen SW-fernseher der siebziger Jahre hatten nur eine 61cm-Röhre. Die angegebene Bildröhre ist eine 27 GP 4 L, wahrscheinlich ein amerikanisches Modell, leider gibt es auch hierzu keinerlei Informationen. Trotz jahrelanger Suche habe ich bisher zu dieser Truhe keine weiteren Informationen gefunden. Lediglich in den Saba Anekdoten von Herrmann Brunner Schwer taucht an einer Stelle eine Beschreibung des Besuches bei Max Grundig auf und in diesem Zusammenhang die Bemerkung, dass da bei Max Grundig die wahrscheinlich größte Fernsehtruhe Deutschlands stand, und die Vermutung von Herrn Brunner Schwer, dass die Bildröhre wohl aus Amerika importiert war. Gerne würde ich zumindest das Rätsel lösen, ob dieses Gerät in Serie gebaut wurde, und wohin es verkauft wurde. Ein Preis ist nicht bekannt, wenn man aber sieht, was zu der Zeit die Grundig Spitzentruhen ohne Fernseher gekostet haben, dann kann man von einem Betrag ausgehen, der selbst wohlhabenden Leuten weh getan haben wird, zumal 1953 ja noch nicht wirklich klar war, wie es mit dem Fernsehen weiter geht - der Betrag war also nicht nur hoch, sondern musste noch für ein Gerät ausgegeben werden, für das es kaum Programm gab, und bei dem man nicht wusste, ob es überhaupt in drei Jahren noch benutzbar ist.

Eine weitere interessante Modellreihe sind die Spitzenmusikschränke der ersten Generation. Die 9010 ist schon halbwegs bekannt, eigentlich waren es aber drei Modelle, die konstruktiv ähnlich waren, und die in Jahresfrist aufeinander folgten:

Das erste Modell von 1950/51 hieß nur ganz schlicht "Spitzen-Musikschrank", und kostete 3800 DM. Nur mal als Hilfe zur Einordnung: 3800DM waren mehr als das Jahresgehalt eines kleinen Angestellten, für wenig mehr bekam man bereits einen einfachen VW-Käfer, und ein kleines Einfamilienhaus gab es ab 10000 DM.

http://www.radiomuseum.org/r/grundig_sp ... hrank.html

Der Spitzen Musikschrank ist die einzige Truhe dieses Dreiergespanns, die ich noch nie in natura zu Gesicht bekommen habe, und von der es keine weiteren Informationen gibt. Scheinbar wurde auch hier auf amerikanische Komponenten zurückgegriffen - das Gerät in der rechten Schublade ist mit ziemlicher Sicherheit ein Drahttongerät aus amerikanischer Produktion, und von dem Plattenwechsler gibt es das unbestätigte Gerücht, dass hier ebenfalls ein amerikanisches Modell eingebaut gewesen sein soll mit der Fähigkeit, beide Plattenseiten ohne Umdrehen abzuspielen.

Ein Jahr später kam dann die 9009:

http://www.radiomuseum.org/r/grundig_mu ... 9009w.html

Ab hier begann die Philosophie von Grundig, die Technik des größten Tischradios ( in diesem Fall das 5005W ) zu nehmen, verstärkerseitig aufzublasen und zusammen mit vielen Lautsprechern in eine Truhe einzubauen. In diesem Fall erfolgte das Aufblasen durch Hinzufügen einer zweiten Gegentaktendstufe, so dass die 9009 mit vier EL41 als Endröhren bestückt ist. Der Plattenwechsler kann schon Mikrorillen, er stammt von Philips, der Drahttonrecorder aus dem Vorgängermodell wurde durch das erste Tonbandgerät aus Grundig Eigenproduktion ersetzt, es wird das Modell 300 oder 500 sein. Trotz des damaligen Preises von knapp 3300 DM ist diese Truhe relativ häufig in Sammlerkreisen anzutreffen, wegen ihrer zukunftsweisenden Technik wird sie oft für viel jünger gehalten, als sie tatsächlich ist.

Bei der dritten Version dieser Truhe hatte ich nach langem Suchen das Glück, ein Exemplar aufzutreiben, das noch halbwegs original und vollständig ist. Es ist die 9010:

http://www.radiomuseum.org/r/grundig_mu ... _9010.html

Das Tonbandgerät ist die letzte "Modellpflege", das Modell 700, schon mit zwei Geschwindigkeiten. Das Radioteil stammt wie beim Vorgänger auch aus dem aktuellen Spitzenmodell, hier dem 5010. Das Aufblasen der Endstufe erfolgt in diesem Falle dadurch, dass die beiden EL12 der Endstufe durch zwei EL12/375 ersetzt wurden, und ein separates Anodenspannungsnetzteil die 375 Volt erzeugt, mit der die Endstufe betrieben wird. Als Lautsprecher verwendet man einfach zwei komplette Sätze aus dem Tischradio 5010.

Der Plattenspieler in der 9010 ist eine Besonderheit. Ein Jahr vorher hat man bei Perpetuum Ebner ein neues mikrorillentaugliches Laufwerk auf den Markt gebracht, das die Basis des berühmten Plattenwechslers Rex bzw. Rex A bildet. Standardmäßig ist dieses Laufwerk mit einem umschaltbaren Kristallsystem bestückt, das von ELAC entwickelt wurde. Parallel dazu gab es eine Sonderklasse Version. In dieser arbeitete ein leichtes Magnetsystem, das genau umgekehrt funktioniert wie die späteren Shure Systeme. Bei modernen MM-Systemen bewegt sich der Magnet, bei dem PE-System von 1952 steht der Magnet fest und ein kleiner Eisenanker bewegt sich in einem Luftspalt der vormagnetisierten Spulen. Der erforderliche Entzerrer Vorverstärker ist im Laufwerk fest eingebaut, es ist ein zweistufiger Triodenverstärker mit einer ECC40. Wer Interesse an Details zu diesem Plattenspieler hat, kann sich gerne an mich wenden. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zum Standardmodell ist ein "Pitch", der mit einer Wirbelstrombremse funktioniert. Die 9010 mit angegebenen 25 Watt Sprechleistung und dem Urvater des späteren HiFi-Laufwerks war damals das modernste, was man kaufen konnte, und nahm trotz des Trumm-Designs die Zeit um einige Jahre vorweg. Es kamen allerdings auch hier wieder nur wohlhabende Menschen in den Genuss so eines Gerätes, meine Truhe ist beim Entrümpeln in der Villa einer ehemaligen Geschäftsbesitzerin aufgetaucht.

Das mit den Spitzenmusiktruhen, die sich technisch und auch preislich stark von den Massengeräten absetzten, setzte Grundig bis in die späten fünfziger Jahre fort, auch das Magnetsystem zog ab Mitte der Fünfziger verstärkt in die Grundig Musiktruhen ein. Erst um 1960 herum wurden die Spitzenmusiktruhen durch ein Komponentensystem ersetzt, mit dem man nach angloamerikanischem Vorbild Truhen selber zusammenstellen konnte. Dieses System gab es dann auch fest eingebaut in vorgefertigten Musiktruhenmodellen. Und wenige Jahre später (1963) war Grundig dann wieder Vorreiter mit dem HiFi Studio 50.

Warum ich das hier schreibe - zuerst einmal möchte ich daran erinnern, auf welch hohem Niveau Grundig schon kurz nach der Währungsreform angekommen war. Zum anderen möchte ich daran erinnern, dass Grundig eigentlich bis in die siebziger Jahre viel mehr konnte als Großserien Massenprodukte zu bauen, und last but not least soll das die Einleitung der Restaurierungsberichte über meine beiden Spitzentruhen 9010 und 9080 sein, die ich bis Ende des Jahres wieder spielbereit haben möchte. Fortsetzung folgt ...

Gruß Frank

Re: die vergessenen Grundig Spitzengeräte

Verfasst: Di 7. Jun 2016, 16:45
von mampfi
Hallo Frank,
wie Du feststellen kannst habe ich Deinen Beitrag in die Rubrik Fernseher Röhre/Röhre verschoben. Ich denke da gehört er auch rein.
An Deinen Berechtigungen bin ich dran. Da stimmt tatsächlich etwas nicht.

Ich hoffe das geht in Ordnung.
Gruß
Mampfi