Im Jahr 1973 brachte Pink Floyd die LP The Darkside off the Moon raus und in Fürth erblickten Receiver der Serie RTV 820, RTV 850, RTV 1020 und RTV 1040 das Licht der HIFI Welt. Die LP von Pink Floyd dient bis heute als HIFI-Referenz und ist vermutlich, bei jedem HIFI-Enthusiast zu finden. Aber was ist aus den RTV Pult-Receiver jener Zeit geworden?
Einer steht heute in einem erbärmlichen Zustand vor mir und ich erinnere mich zurück:
1973 war ich im dritten Lehrjahr bei einer Werksvertretung von Grundig und arbeitete in der Radiowerkstatt. Nach dem Erscheinen der Serie kamen diese ganz anders aussehenden Geräte auf meinen Arbeitstisch.
Viele zappelnde Zeiger, viele bunte Lämpchen, Knöpfe, die man schieben statt drehen musste, eine riesige Senderskala auf der man alle wichtigen Städte von Europa ablesen konnte, UKW-Senderspeicher zum Antatschen ohne Ende und einen Abstimmknopf, den man zur besseren Griffigkeit raus ziehen konnte. Ein Feature von dem ich mir nicht sicher bin, ob je ein Besitzer davon Gebrauch gemacht hat.
Mir kamen die Dinger fremd vor, hatte ich doch Zuhause einen eckigen Lenco R 50 im dezenten Alu-Look, dessen einziges unnütze Beiwerk zwei Haltegriffe waren. Dazu gab es eine Bandmaschine von AKAI, Dual 701 und goldene Selbstbauboxen mit Betoneinlage.
Mit dieser Zusammenstellung frage ich mich heute, ob ich am späteren Untergang der Firma Grundig nicht doch irgendwie mit beteiligt war?
War es mutig von Grundig, mit einem völlig neuen Design auf die Marktmacht der Asiaten zu antworten? Es hieß, dass Max Grundig persönlich das Design zur Fertigung frei gibt. Wie dem auch sei, die Geräte sind anders als andere Geräte aus dieser Zeit und wer heute so ein Teil besitzt hat vielleicht nichts Besonderes, aber mit Sicherheit was Anderes. Unikum oder Unikat, das ist hier die Frage? Zynische Kritiker würden vermutlich von „Gelsenkirchener Barock“ sprechen.
Mein RTV 820 stammte zumindest vom Flohmarkt in Gelsenkirchen, wo ich ihn für einen „Heiermann“ vor Jahren gekauft hatte.
Wer ein solches Gerät öffnen und dabei Gefummel vermeiden möchte, der sollte sich mit einem schlanken 5,5 mm Sechskant-Schlüssel bewaffnen. Die beiden Gehäuseteile sind aus Plastik oder feiner ausgedrückt aus Kunststoff und sie werden mit jeder Menge Schneidschrauben, die teils in Vertiefungen lauern, zusammengehalten. Der RTV vor mir, überraschte mich mit vielen unterschiedlichen Schrauben. Das ist ein untrügliches Indiz seiner langen Reise durch viele reparierende Hände. Sicher hatten alle es mit ihm gut gemeint. Wo ist denn jetzt die Schraube blos? - Egal nehmen wir die, sieht keiner - passt.
Nach dieser überraschenden Vielfallt an Schrauben schwante mir nichts Gutes und meine Gedanken schraubte ich deshalb lieber wieder in das Jahr 1973 zurück. Als Stift schraubte ich wochenlang im Akkord an den RTV´s 1020 und Co.
Bei den viele Geräten, wurden mir schnell die Schwächen deutlich:
Mit den spannungsgesteuerten Kapazitätsdioden im FM Teil war zwar eine bedienerfreundliche Senderspeicherung möglich, aber die Sache war anfänglich thermisch instabil. Mit dem ersten und einzigen Digitalvoltmeter in der Werkstatt (Nixi Röhren) ließ sich die driftende Abstimmspannung im Countdown verfolgen.
Viele RTV´s hatten schon damals Malesten mit abgebrochenen Schieberegler und das lag nicht allein an den Benutzern: Durch die Pultform stauben die Dinger von oben voll. Der Staub mischt sich mit den Fetten. Die Fette verharzen. Die Schieber rucken oder werden schwergängig. Der Kunststoff wird über die Jahre hart - und Peng abgebrochen. Der Knopf ist erst lose und dann eines Tages weg. Letzteres passiert scheinbar umso eher, je mehr man glaubt auf ihn aufpassen zu müssen.
Die Schiebe-Poti´s sind vom Hersteller Preh. Sie sind unterschiedlich in Größe und in ihren Werten und soweit ich weiß, heute nicht mehr zu bekommen.
Tipp: Manchmal bricht nur ein kleiner Klipp an der Spitze ab und der Knopf ist nur wackelig. Beim Ankauf alle Knöpfe abziehen und nachsehen. Im Betrieb regelmäßig alle Regler mal benutzen, so bleiben sie länger leichtgängig.
An signifikante Probleme mit den Endstufen kann ich mich nicht erinnert. Gab es dennoch mal Probleme, dann wurde nicht der einzelne defekte Transistor gesucht, sondern es gab die Weisung: Alle wechseln!
Ein Blick in einen 1020 oder 1040 macht deutlich, dass die Baustufen wohl in unterschiedlichen Entwicklungslaboren entstanden sind und dann irgendwie in die Kiste reinpassen mussten. Für mich erscheinen sie nicht aus "einem Guss". Anders der RTV 820: Alles gut erreichbar, keine doppelseitigen Platinen, platzsparende Stufen im Radioteil mit IC´s Technik und mit halben Gewicht, lässt er sich gut händeln.
Trotzdem, der 820 hat die gleichen Grundprobleme durch die Pultkonstruktion, die Birnchen-Schwämme, die empfindlichen Zeigerinstrumente - lässt sich aber wesentlich leichter Reparieren. Wer einmal einen Fehler auf der Tunoscope Platine beim 1020/1040 gesucht hat, weiß sicher wovon ich schreibe. Ein riesen Aufwand für drei Lämpchen, deren Aufgabe jahrelang in anderen Geräten durch ein einfaches Mittenanzeige-Instrument zufriedenstellen und störungsarm ohne Bling Bling erledigt wurde.
Um an die meisten Bauteile heranzukommen müssen bei allen RTV´s die Skala und die Instrumenten-Leiste raus. Es mag sein, dass man dazu eine Routine entwickeln kann. Es kann aber auch sein, dass es eines Tages überraschend „FLISCH“ macht.
Geschehen 1973 an einem Tag an dessen Ende ich mir vornahm zukünftig mir in anderes „Akkordgerät“ auszusuchen. Auch wenn es die eigene Dusseligkeit war, danach hatte ich die Nase voll von den „Dingern“.
Was war passiert?
Es ist schon erstaunlich, wie wenig Zeit man benötigt, um mit einem Lötkolben bei mittlerer Temperatur ein vormals wunderbar funktionierendes und straffes Skalenseil unbedacht und total überraschend in ein schlaffes rumhängendes Etwas zu verwandeln. Man muss nur lange genug und gebannt auf die Lötspitze schauen und nicht bemerken, dass der Rest der Heizpatrone eine schmelzende Verbindung mit dem Skalenseil eingehen möchte. Was für eine Sch ….ße:
In Millisekunden wurde ich vom Lötkolbenschwinger zum Vorsitzenden im Häkelkurs. Nichts anders bedeute für mich Skalenseil wechseln. Nie habe ich jemanden getroffen der schwärmte: Heute war ein guter Tag - vier mal Skalenseil gewechselt.
Es blieb mir nichts anderes übrig, da musste ich durch. Ich erinnerte mich an die Strickliesel, die ich in Kindertagen geschenkt bekam (-obwohl ich ein Junge war) und an den Spruch: Achten sie auf die Fingerfertigkeit meiner Füße. Keine Stunde später war das Seil erneuert, der Zeiger wanderte wieder und alles war zusammengeschraubt und wartete auf die Abnahme durch den Herrn Werkstattleiter.
Herr Werkstattleiter trat gemächlich vor den RTV ohne ein Wort, ein Blick an mich zu richten (Wer war ich schon? - Ein Grundig-Stift!), er machte einen tiefen Zug aus seiner Kippe, zog den Kopf für die Sendereinstellung heraus, drehte ihn eine Viertelumdrehung nach rechts und der Skalenzeiger bewegte sich 5 cm nach links. Ich betrachtete das Geschehen und fand mich toll, den Häkelkurs bestanden zu haben. Zumindest bis zu dem Moment als ein ganz komischer Satz meine Ohren erreichte: Läuft falsch rum, musse noch mah machen. (Drehung nach rechts = Zeiger muss nach rechts) Was für eine Sch….. Alles von vorne … Irgendwann klappte die Abnahme und das Gerät verschwand im Ausgangslager. Am nächsten Tag fand ich zwei einsame 5,5 mm Sechskantschrauben am Rande meines Arbeitsplatzes. Ich nahm sie in die Hand und dachte „oh“, danach machte es im Papierkorb plöp und noch mal plöp.
Bis heute frage ich mich, wer hat in der Fertigung das Skalenseil in die Kisten reingestrickt? Der oder die muss doch eine Zulage bekommen haben - oder?
Der RTV 820, der heute auf meinem Arbeitsplatz steht ist weniger aufwendig. Aber er ist nicht frei von Tücken: Ich drehe am Senderknopf und stelle fest, es dreht sich nichts. Mittig im Gerät thront ein fetter Drehkondensator. Ich versuche das Antriebsrad direkt am Drehko zu bewegen, es lässt sich nichts bewegen. Ich hatte mich schon immer gewundert, warum im Internet so viele gebrauchte Drehkos angeboten werden. Ich habe meinem ganzen Leben nur einmal einen Drehko gewechselt (Ich hatte einen "Schwächeanfall"


Bei mir hat es zumindest super geklappt. Oszillin mit Reiniger ausspülen, trocknen lassen, Lager ölen, Verzahnung am Drehko mit Silikonfett fetten, Umlenkrollen und die Achse am Drehknopf leicht ölen und der Skalenzeiger gleitet wieder leicht von einer Seite zur anderen.
Die Tatsache, dass der Drehko nur für AM nötig ist und kein Mensch mehr in Zeiten von DAB+ AM hört, macht den Aufwand trotzdem notwendig, weil am Drehko das „große Poti“ für die Abstimmspannung FM angeflanscht ist. Am „heißen Ende“ sollten exakt 30 Volt anliegen ( R 91 links vom Drehko). Bei eingedrehtem Poti sollte die Spannung am Schleifer 2,7 Volt betragen (Fußpunkt - einstellbar im Poti-Gehäuse von R 601) (Bild).
Tipp: Vor dem Um- oder Anklemmen der Messleitungen würde ich das Gerät ausschalten und etwas warten. Das IC zur Stabilisierung der Abstimmspannung wird nicht mehr hergestellt (soweit ich weiß). Wäre doch schade, es „abzuschießen“.
Früher war die Erde ja noch eine Scheibe und aus der Steckdose kam eine Wechselspannung von 220 Volt. Heute ist ja alles irgendwie anders und ich frage mich, wo in der Welt gab es eine Netzspannung von 240 Volt? Egal, viele Geräte von Grundig haben eine Umschaltung zur Netzspannungswahl - der RTV 820 auch. Kann man von außen mit einer Münze erledigen. Habe ich gemacht (240 Volt) bevor ich ihn überhaupt an das Netz angeschlossen habe.
Die Inaugenscheinnahme der Sicherungen und Sicherungshalter brachte den erwarteten Zustand zu Tage. Die Tage auf dem Flohmarkt waren wohl etwas feucht. Die Sicherungen oxydieren in den Haltern aus Kupfer und es ergeben sich Übergangswiderstände.
Tipp: Oxydation an den Sicherungen und Sicherungshaltern beseitigen. Ggf. neue Sicherung einbauen und die Halter etwas enger biegen. Meist ist die Oxidation im eingebauten Zustand nicht zu sehen. (Bild)
Wer einen RTV reparieren möchte und meint man müsse nur alle Elkos wechseln und die Kiste läuft wieder, könnte enttäuscht werden. Reparieren bedeutet für mich Fehler finden. Erst nach dem sich abzeichnete, dass der RTV 820 „spielt“ habe ich begonnen Elkos zu tauschen. (Bild)
Die Einstellung des Ruhestromes war nur auf einem Kanal planmäßig möglich. Ein Ausgangs-Elko 2200µF hatte ein „Schuss" 0,01 Ohm. Also: Nicht vergessen Spannung messen (LS -Ausgang oder Minus Elko C147/148).
Der Ruhestrom wird nicht direkt gemessen, sondern der Spannungsabfall über die Widerstände R 174b/175 . Er soll 3 bis 4 mV betragen. Das Kühlblech sollte ohne Ansteuerung der Endstufen handwarm bleiben.
Tipp: Ruhestrom gerade nach Umstellung auf 240 Volt neu einstellen. Die Messung im mV-Bereich erfordert ein vernünftiges Voltmeter. Bei einer proportionalen Veränderung der Spannung zur Potidrehung, sind die Potis R 161/162 meist in Ordnung. Da diese in Kunststoff gekapselt sind und eine Einstellung sauber möglich war, habe ich sie nicht gewechselt.
Vielleicht sollte ich mit Blick auf die vielen Birnchen Rabimmel Rabammel Rabumm eine ist immer stumm singen. Die Beinchen der Birnchen laufen schwarz an. Ein mehrfaches Wechseln leiert die Halter aus. Ein Umbau auf LED´s bringt kein Streulicht und so verdienen sich die Anbieter ganzer Birnchen-Sätze im Internet eine goldene "Birne". Sie sind für mich ohne Zweifel die wahren Gewinner am Max-Design. Ich habe nicht mitgezählt, wie oft im ausgebauten Zustand noch alle "Kerzen am Baum" brannten und nach dem Zusammenbau mindestens eine in den Ruhestand getreten war. Musse nomma ausbauen - Gerne, die paar Schrauben
Die meiste Zeit am RTV 820 habe ich mit der Reinigung verbracht. Als Stift hatte ich „Geräte aufpolieren“ insbesondere in der Tonbandwerkstatt gelernt. Es stank dort immer nach Spiritus und „Polish“ - eine Eigenmarke von Grundig.
So, die „Kiste“ ist wieder fertig und muss nur noch weiter zusammengeschraubt werden: Was mach ich mit den falschen Bodenschrauben? und ich denke: Die zwei aus dem Papierkorb von 1973 könnte ich jetzt gut gebrauchen.
Liebe (-r) Leser (-in), ich danke Dir, dass Du Dir soviel Zeit genommen hast. Ich hoffe, es war Dir nicht langweilig.
Malesten = Beschwerden, Belästigungen
Die Bezeichnung „Heiermann“ wird in manchen Gegenden Deutschlands umgangssprachlich für das 5-Mark-Stück, heute selten auch für den 5-Euro-Schein, verwendet.
„Stifte“ - sind Nägel ohne Köpfe - und dieser Begriff wurde unter vielen Handwerkern - für Lehrlinge im ersten Lehrjahr - benutzt, weil die Lehrlinge- scheinbar am Anfang ihrer Lehre nicht viel im Kopf hatten.